Das Bundesverfassungsgericht hält die Regelungen zur behördlichen Vaterschaftsanfechtung für verfassungswidrig

stop-154653_640Bisher konnte die Behörde eine Vaterschaft anfechten, wenn es Vermutungen dazu gab, dass durch die Vaterschaftsanerkennung das Aufenthaltsrecht umgangen wird. Denn durch eine Vaterschaftsanerkennung erwirbt das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit und die Mutter erhält ein Aufenthaltsrecht.

Doch genau dieses Vorgehen der Behörden, erklärt das Bundesverfassungsgericht nun für verfassungswidrig und nichtig! Die Regelung verstoße gegen das Grundgesetz, denn der weite Anfechtungstatbestand erfasse auch Vaterschaftsanerkennungen, die gerade nicht das Aufenthaltsrecht umgehen wollen.

Die Behördenanfechtung
Die Behördenanfechtung wurde im Jahre 2008 eingeführt. Der Gesetzgeber befürchtete die Ausnutzung der Vaterschaftsanerkennung um das Aufenthaltsrecht zu umgehen.
Für eine erfolgreiche Anfechtung einer Vaterschaftsanfechtung muss die biologische Vaterschaft fehlen und zwischen dem Kind und dem „Vater“ darf keine sozial-familiäre Beziehung bestehen bzw. es muss offensichtlich sein, dass das Kind oder die Mutter rechtlich erhebliche Vorteile bzgl. eines Aufenthaltsrechts in Deutschland hat.

Mit rechtskräftiger Entscheidung, dass eine Vaterschaft nicht besteht, entfallen die bisherige Vaterschaftszuordnung, die dadurch begründete Staatsangehörigkeit des Kindes und das Aufenthaltsrecht der Mutter. Diese Rechtsfolgen wirken auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes zurück.

Die Gründe des Bundesverfassungsgericht

Es wird in die Grundrechte eingegriffen. Art. 16 I GG schützt den Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit. Der Schutz gilt demnach auch für Kinder, die die Staatsangehörigkeit aufgrund einer Vaterschaftsanerkennung erhalten haben. Des Weiteren kann die betroffene Person den Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit nicht selber beeinflussen, sodass auch hiermit eine absolut verbotene Entziehung der Staatsangehörigkeit nach Art. 16 I GG vorliegt.

Betroffen sind nur binationale und ausländische Paare, von denen mindestens ein Elternteil keinen gesicherten Aufenthaltsstatus besitzt. Die Betroffenen können eine Vaterschaft durch Anerkennung aus beliebigen Motiven herbeiführen; das gilt auch dann, wenn sie damit rechnen oder sogar wissen, dass der Anerkennende nicht biologischer Vater des Kindes ist. Allerdings verlangt die Regelungen zur Behördenanfechtung von den Betroffenen unter den in § 1600 Abs. 3 BGB genannten Voraussetzungen, auf eine Vaterschaftsanerkennung zu verzichten, wenn sie nicht später den anfechtungsbedingten Verlust der Staatsangehörigkeit des Kindes riskieren wollen. Da gibt es einen Widerspruch in sich!

Deshalb fordert das Bundesverfassungsgericht, dass unter den in § 1600 Abs. 3 BGB genannten Voraussetzungen der Verzicht auf eine Vaterschaftsanerkennung zumutbar ist, soweit diese gerade auf die Erlangung aufenthaltsrechtlicher Vorteile zielt, die das Aufenthaltsrecht an und für sich nicht gewährt. Erfolgt die Vaterschaftsanerkennung hingegen nicht gezielt gerade zur Umgehung des Aufenthaltsrechts, ist den Betroffenen nicht zuzumuten, auf die vom Gesetzgeber ansonsten ohne Ansehung der Motive eingeräumte Möglichkeit der Vaterschaftsanerkennung zu verzichten, die allen anderen Paaren in genau gleicher Lage offen steht. Die Möglichkeit der Behördenanfechtung muss daher auf die Fälle spezifisch aufenthaltsrechtlich motivierter Vaterschaftsanerkennungen begrenzt bleiben.

Das Fehlen sozial-familiären Beziehung zwischen Vater und Kind ist kein zuverlässiger Indikator für aufenthaltsrechtliche Gründe. Eine sozial-familiäre Beziehung besteht im Regelfall dann, wenn der Vater mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat (§ 1600 Abs. 4 BGB). Dieses Erfordernis ist im Zusammenhang zu eng, weil es nicht mit hinreichender Treffsicherheit darauf schließen lässt, dass die Vaterschaftsanerkennung gerade zur Umgehung des Aufenthaltsrechts erfolgt. 
Die Regelungen zur Behördenanfechtung verstoßen darüber hinaus gegen Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG. Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG darf der Verlust der Staatsangehörigkeit gegen den Willen der Betroffenen nur dann eintreten, wenn diese dadurch nicht staatenlos werden. Für den Fall der Staatenlosigkeit hätte der Gesetzgeber eine Vorkehrung treffen müssen. 
Die Regelungen über die Behördenanfechtung verstoßen zudem gegen das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sowie gegen das Recht des Kindes auf Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Eine verfassungsrechtlich geschützte Elternschaft besteht auch dann, wenn die Vaterschaft durch Anerkennung begründet wurde und der Anerkennende weder der biologische Vater des Kindes ist noch eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind begründet hat. 
Schlussendlich verstößt es gegen das allgemeine Familiengrundrecht aus Art. 6 I GG. Die unnötig weit gefassten Anfechtungsvoraussetzungen setzen nicht verheiratete, ausländische oder binationale Elternpaare, die keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, generell dem Verdacht aus, die Vaterschaftsanerkennung allein aus aufenthaltsrechtlichen Gründen vorgenommen zu haben, und belasten ihr Familienleben mit behördlichen Nachforschungen. Eine präzisere Fassung der Anfechtungsvoraussetzungen wäre auch insoweit verfassungsrechtlich geboten.

Hoch kam das Thema „behördliche Vaterschaftsanfechtung“ durch einen Beschluss Anfang 2010 des Amtsgerichts Hamburg-Altona, das ein Verfahren der Behördenanfechtung aussetzte, um die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (1 Bvl 6/10) einzuholen.

 

Quelle

 

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