Ein Gastbeitrag von Rechtsanwalt Dietrich aus Berlin
Oftmals ist für die Beurteilung eines Sachverhaltes nicht nur der Blick in das eigene Rechtsgebiet, sondern ein umfänglicher Blick über den Tellerrand geboten. Vor allem bei familiären Auseinandersetzungen kann es zu Situationen kommen, die neben dem familienrechtlichen, auch strafrechtlichen Charakter haben. In der Rechtsprechung handelt es sich häufig um Fälle, in denen Frauen tätliche Angriffe ihrer Ehemänner abwenden müssen. Ebenso kann es aber auch zwischen Eltern und ihren Kindern zu heiklen Situationen kommen, in denen Gewalt zum Einsatz kommt.
Das Notwehrrecht, § 32 StGB
Grundsätzlich gilt, wenn man angepöbelt, geschubst oder sogar geschlagen wird, das Notwehrrecht des § 32 StGB, nach dem man sich beim Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffs verteidigen darf. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht. Dem Angegriffenen werden demnach weitgehende Handlungsmöglichkeiten zugesprochen, damit er sich selbst oder auch die Rechtsordnung als Ganzes schützen und verteidigen kann. So kann es beispielsweise erlaubt sein, einen Angriff auf das Eigentum in einer Weise abzuwehren, die zum Tod des Angreifers führt, solange dabei kein krasses Missverhältnis vorliegt. Auch wird dem Angreifer regelmäßig zugemutet, genauso viel oder auch mehr einzustecken, als er ausgeteilt hat.
Sozialethische Einschränkungen beim Vorliegen einer engen persönlichen Beziehung
Es gelten jedoch sozialethische Einschränkungen der weitgehenden Notwehrbefugnisse, wenn eine enge persönliche Beziehung zwischen den Beteiligten besteht. Eine solche ist immer dann anzunehmen, wenn der Angegriffene eine Garantenstellung gegenüber dem Angreifenden innehat, also zwischen Eheleuten, Partnern eheähnlicher Gemeinschaften und bei Eltern-Kind-Beziehungen. Schließlich wäre es widersprüchlich, auf eine gegenseitige Solidarität zu bestehen und trotzdem Verteidigungshandlungen ohne jegliche Einschränkung zu erlauben.
Die Rechtsprechung hat im Rahmen der sozialethischen Einschränkungen eine sogenannte „Drei-Stufen-Theorie“ entwickelt, die festlegt, welche Handlungen dem Angegriffenen erlaubt sind. Demnach muss er zunächst versuchen, dem Angriff auszuweichen oder fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. Falls keine Ausweichmöglichkeiten gegeben sind, darf eine Schutzwehr aufgebaut werden, bei der allerdings lediglich abwehrende Maßnahmen ergriffen werden dürfen. Für den Fall, dass auch diese den Angriff nicht zu beenden vermag, darf zu aggressiveren Verteidigungshandlungen, also Trutzwehr, gegriffen werden. Die Trutzwehr ist allerdings das äußerste bzw. letzte Mittel und damit ultima ratio. Neben der Drei-Stufen-Theorie ist gleichermaßen anerkannt, dass Ehrverletzungen, wie beispielsweise Beleidigungen, und auch leichtere Eingriffe der körperlichen Integrität hinzunehmen sind, wenn zur Abwehr des Angriffs nur eine schwere Verletzung oder gar eine Tötung des Angreifers möglich ist.
Die typische Fallkonstellation und ihre Bewertung in der Rechtsprechung
Vor allem im Bereich der typischen gewaltsamen Auseinandersetzungen von Eheleuten ist eine starke Einzelfallabwägung geboten. Denn für den gewaltsamen Partner darf aus der Einschränkung des Notwehrrechts kein Freibrief für Misshandlungen erfolgen. Zwar gilt auch hier erst einmal die Formel „Schutzwehr statt Trutzwehr“, die allerdings keinesfalls dahingehend ausgelegt werden darf, dass Duldungspflichten in dem Maße überspannt werden, dass das Recht des Stärkeren gilt.
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) lässt in diesen Fällen bisher keine klare Linie erkennen. So verneinte der BGH in manchen Fällen ein Notwehrrecht nach § 32 StGB, in denen Frauen ihre Männer zur Beendigung gewalttätiger Angriffe getötet hatten. Anders bewertete er die tödliche Messerattacke einer schwangeren Frau gegen ihren Ehemann, die damit Fußtritte gegen ihren Bauch abwehren wollte. Hier sprach der BGH der Angegriffenen ein vollumfängliches Notwehrrecht zu.
Außerdem ist zu beachten, dass in Beziehungen, bei denen beide Seiten einen gewaltsamen Umgang miteinander als normal empfinden, von Einschränkungen des Notwehrrechts komplett abgesehen wird.
Fazit
Damit greifen die Einschränkungen des Notwehrrechts im Ergebnis nur bei einmaligen Ausrutschern in ansonsten intakten Beziehungen, bei denen der Angreifer die Beherrschung verliert und die Situation über einen verbalen Angriff hinausgeht. In allen anderen Fällen, kommt es, wie bei Juristen so oft, auf die Betrachtung des Einzelfalles an.
Autor: Rechtsanwalt Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht aus Berlin